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Anders sein ist ganz normal

"Anders sein ist ganz normal" lautet der Titel des ersten Buches des erfolgreichen Poetry Slammers Pierre Jarawan und ist gleichzeitig der rote Faden, der sich durch das gesamte Buch zieht.
Das als Ringelblock getarnte Taschenbuch ist eine Sammlung seiner großartigen Bühnentexte, aufbereitet mit niedlichen Zeichnungen und kleinen Zwischentexten, oder Abänderungen von alt-bekannten Redewendungen.

In diesem Buch ist die Fantasie ein ständiger Begleiter. Seine Fantasie baut ganze Plantagen der schönsten Pflanzen, oder Boote aus riesigen Walnüssen, oder lässt ihn in seine Kindheit zurückversetzen.


Mir gefällt die Kunstform des Poetry Slam Textes im Allgemeinen. Die Beschränkung auf 5 Minuten Auftrittszeit gibt langweiligen Längen keine Chance. Man kann lustig sein, oder tiefgründig. Man kann reimen, oder nicht.
Jede mögliche Variation dieses Genres ist in dem Werk vertreten. Das macht das Buch so abwechslungsreich, obwohl es in vielen Texten um ein ähnliches Thema geht: Die Sprache, das Lesen und das Schreiben, die Fantasie und die Möglichkeit, diese in eine geordnete sprachliche Form zu bringen
Er schreibt über das Schreiben, philosophiert über philosophische Themen und poetisiert Posie. Dieser Blick auf das eigene Handwerkszeug eines Dichters und Poeten ist interessant und faszinierend.

Pierre Jarawan erzählt von Traumwelten und regt dabei die eigene Vorstellungskraft an, Bilder vor dem Auge in die Luft zu malen (z.B. von Basaren, Stränden oder aufständischen Ratten). Man ist gefangen in seinen Kindheitserinnerungen vom Libanon und fühlt sich wohl in diesem Land, obwohl man noch nie dort war. Man hört die wunderschönen Töne eines Klavier, obwohl niemand Klavier spielt. Man ist beeindruckt von der Schönheit der Natur, obwohl es regnet und man in seinem Sessel sitzt.

Sein Buch ist ganz persönlich. Man erfährt viel über den Autoren Pierre Jarawan, seine Kindheit und Charakterzüge. Er erzählt gerne Anekdoten über seine Schulzeit und Momente, in denen Menschen ihn auf seine geistige Abwesenheit aufmerksam machen, oder gibt Gründe für seinen Antrieb, Texte zu schreiben. Dabei stellt er sich selbst als einen naiven, gedankenverlorenen Menschen dar, der dem Leser irgendwie sympathisch ist.

Auch sein Geschriebenes ist durchsät mit interessanten Gedankengängen, ohne, dass es für den Leser zu anstrengend oder schwierig wird.
Meistens erkennt man zu Beginn eines Textes bereits, ob es sich um einen lustigen oder nachdenklichen handelt. Zwar unterhalten letztere großartig und bringen einige Lacher in langweilige Abendstunden, doch teilweise kann die Komik im geschriebenen Wort nicht so perfekt transportiert werden, wie auf der Bühne. Ich hab mich manchmal geärgert, weil ich den Witz zuerst überlesen und im Genauer-Hinsehen erst gefunden habe. Dann war es zu spät zum Lachen, weil ich schon wusste, was darauf folgte, obwohl ich die Selbstironie, mit der Pierre Jarawan teilweise schreibt, sehr amüsant finde.
Allerdings sind die tiefsinnigen Texte einfach genial. Sie vermitteln originelle Überlegungen, die man nur ganz selten liest und über die man selbst meist noch nie nachgedacht hat. So schreibt er über den tristen Alltag, in den ein kleines Mädchen Farbe bringt, und über Ratten, die in Laboren in Versuchen gequält werden. Außerdem kann man sich durch das Gedruckte länger in einer Überlegung verharren, als es in den fünf Minuten Vortragszeit möglich ist
Aber es gibt auch viele Texte, die beide Elemente beinhalten. Bei diesen wird der Leser oft mit einem Mal aus dem Grübeln geworfen und muss anfangen zu lachen.
Natürlich darf die Beziehungskiste auch nicht fehlen. In dieser Geschichte verwurstet Pierre Jarawan aber köstlich die Hälfte aller Sprichwörter und Redewendungen der deutschen Sprache.

Zwischen witzigen Geschichten und nachdenklichen Sinnierungen sind kurze verwirrende und völlig abgedrehte Tiergeschichten und lustige Verdrehungen von Redewendungen, die den Sinn meist durch einzelne Wörter in eine ganz andere Richtung leiten. Ob die vierzeiligen nicht ganz ernst gemeinten Erzählungen von einem Ohrwurm, einem Tintenfisch oder einem Schwein allerdings einen tieferen Sinn erfüllen ist fraglich. Zwar ist beides recht amüsant, jedoch bewegt sich beides auch recht scharf an der Grenze zum "Lückenfüller".
Das ist aber nicht allzu tragisch, da die speziellen mit traumvollen Metaphern bespickten Texte dieses Werk von Pierre Jarawan zu einem ganz besonderen machen.

Das äußere Erscheinungsbild des Buches werten die kleinen Zeichnungen auf dem Cover und am Ende einiger Texte deutlich auf.Sie sind liebevoll gezeichnet und illustrieren auf eine witzige Weise die in den Texten beschriebenen Geschehnisse. Vor allen Dingen in einer Kurzgeschichtensammlung sind Grafiken eine gute Hilfe für einen besseren Lesefluss. Dadurch werden die nackten Texte veranschaulicht und das gesamte Werk wird lebendiger. Ohne diese Bildchen würde meiner Meinung nach nach wenigen Texten die Lust vergehen, einen neuen anzufangen. Obwohl die Texte einen gewissen roten Faden haben, handelt es sich um eigenständige Texte, von denen man jedes Mal aufs neue mitgenommen werden muss und die man erst beginnen kann, wenn man den vorherigen in Gedanken verarbeitet hat. Durch die Zeichnungen ist es wesentlich einfacher mit einem Text abzuschließen, oder in ihn hereinzufinden.
Ebenfalls eine Hilfe sind die beiden Klappumschläge. Dadurch kann man seine Lieblingstexte, oder die Stelle, an der man letztes Mal aufgehört hat zu lesen, gut markieren und schnell wiederfinden. 

In einem Text erzählt Pierre Jarawan, dass er sich wünscht, Inspiration zu sein und ich finde, dass ihm das sehr gut gelingt. Während man seine abgedrehten Geschichten liest, bekommt man eine komische Lust dazu, seine eigenen Worte in Lyrik zu verwandeln und zu reimen.
An einer Stelle erklärt er sogar, wie man zu seinen Ideen kommen kann und auf welche Umwelteindrücke man beispielsweise achten kann, um kreativ zu werden. So kann man eine Menge für seine eigene Beschreibungs- und Ideentechnik lernen. Damit ist die Lektüre gleichzeitig eine bessere Anleitung zu dem Thema: "Wie schreibe ich kreative Texte?", als jedes Buch mit dem Titel: "Wie schreibe ich kreative Texte?".


Büchernarren fühlen sich in vielen Texten angesprochen und verstanden. Aber auch für nicht wortverliebte Menschen ist es spannend zu lesen, aus welchem Blickwinkel ein Poet die Sprache selbst betrachtet. Das Buch hat mich vor allen Dingen in diesem Bereich voll überzeugt.

Zum Abschluss meine wärmste Textempfehlung aus diesen Buch: "Von Seiltänzertraumen und Teetischpoeten: Warum ich ein schlechter Zuhörer bin".

Fazit: Pierre Jarawan zeigt, dass er ein begnadeter Denker und Philosoph ist und er viel zu selten Poetry Slams in Nordrhein-Westfalen mit seiner sympathischen Art bereichert. Die lieblichen Zeichnung und die nachdenklichen Texte, sowie seine Fantasie sind großartig und machen das Buch zu einem besonderen Stück Literatur.

Daten:
Name: Anders sein ist ganz normal
Autor: Pierre Jarawan
Seitenanzahl: 120 + Inhaltsverzeichnis und Reklame
Genre: Kurzgeschichten, Gedichte, Poetry Slam Texte
ISBN: 978-3-938470-65-7

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