Direkt zum Hauptbereich

155 Kurze (aus der Poetry Slam Szene)

155: So viele Texte sind in der Kurztextzusammenstellung von Wolf Hogekamp & Björn Högsdal enthalten. Vielleicht. Ich hab nicht nachgezählt, vertraue da aber ganz auf die Herausgeber und mein Gefühl.

Es ist eine Art Querschnitt durch die moderne Poetry-Slam Szene. So etwas wie der Schnelldurchlauf in einer Castingshow. Schnell eine Szene gezeigt, schon wieder die nächste. Epileptische Kamerawechseln und ein wenig Verwirrung bei dem Zuschauer, aber, solange es sich bewegt, zappt man nicht weg. Jetzt gibt man dazu eine Prise Niveau und Intellekt – in manchen Fällen auch Wahnsinn – und der Vergleich ist perfekt. Das Einzige, das fehlt: Dieter Bohlen. Gott sei Dank.

Erst enttäuscht über die Knappheit der einzelnen Texte kam die Erkenntnis: 155 vollständige Poetry Slam Texte würden bei einer überschlagenen Durchschnittslänge von mindestens 5 Seiten eine Enzyklopädie von mehr als 775 Seiten ergeben.

Charakteristisch für viele abgedruckte Beispiele der knappen Wort-Kunst ist ein Spiel mit den Worten als Aneinanderreihung von Buchstaben. So ändert sich der Sinn teilweise drastisch, wenn nur ein Leerzeichen fehlt, oder ein Buchstabe verändert wird. In längeren Texten lässt sich dieser physische Umgang mit den Worten nur schwer durchziehen und tritt meistens nur vereinzelt auf, doch hier hat es das Potenzial einen Text zu prägen und auszuzeichnen. Das hat mir sehr gut gefallen.
Auch die Kurzgedichte (vermehrt treten Vierzeiler mit Kreuzreim auf) sind genial und verpacken meist einen Witz in seine rechtmäßige lyrische Verpackung. Das erinnert stilistisch streckenweise ein wenig an die „Gestammelten Werke“ von Johann König.

Am meisten genossen habe ich natürlich die Kurzen der Slammer, von denen ich bereits etwas gelesen, oder denen ich schon Live beim Preformen zugesehen habe. Patrick Salmen glänzt zum Beispiel in "Der Wunderknabe - Eine Autobiographie" und "Proklamation" mit seinem brutalen und sarkastischen Humor.
Und andere Poeten (wie Dominik Bartels mit seinen Gedankenanstößen) haben sich mit der Partizipation an diesem Projekt in mein Bewusstsein katapultiert.

Die Schriften sind in verschiedene Themen eingeteilt, welchedie altbekannten Lebensbereiche (z. B. Liebe, Familie) abdecken. Eingeleitet wird jede durch eine nette Zeichnung des süßen Äffchens, der auch schon das Cover ziert – an dieser Stelle sei gesagt, wie genial ich die Buchgestaltung finde. Sehr zu empfehlen ist die relativ umfassende Rubrik Politik-Gesellschaft. Allen voran "Widerstand" von Björn Högsdal, in dem er sich im Krieg gegen die Regierung befindet, weil die ihn zwingt die neuen Energiesparlampen zu benutzen. Natürlich ist das nur ein Aspekt in dem so vielschichtigen Themenbereich. Mit vielen dieser Texte habe Ich mich ein wenig länger auseinandergesetzt als nur beim Lesen. Und ich finde, dass zeichnet einen wirklich guten Text aus.

Aber auch abstrakte Themen wie Skurriles gibt es. Na klar, viel Witziges ist dabei und Humor ist verschieden. Aber ich hab über einiges gelacht und selbst die Texte, die deutlich die Überschrift "Witz" tragen, sind nicht platt, abgekaut, oder einfach nur albern, sondern witzig und teilweise auf eine echt nieveauvolle Art. 

 Wer braucht schon ein Witzebuch, oder das Programm von Mario Barth, um auf dem Schulhof ein paar Lacher zu ernten. Macht's mit diesem Buch und ihr bringt frischen Wind in eure staubige alte Schule... Naja solange die anderen überhaupt verstehen, was ihr da von euch gebt, das ist nämlich teilweise auch ein wenig verwirrend.


Allerdings sollte man die Rubriken nicht zu ernst nehmen. „Stadt-Land-Fluss“ nimmt zum Beispiel auch nicht geographische Geschichten über den letzten Bäckereibesuch gerne auf.

Ich finde es gut, mal eine Anthalogie zu dem Thema in den Händen zu halten, denn dann Besteht nicht die Gefahr durch den ähnlichen Schreibstil eines einzelnen Autors einer Routine zu verfallen, wodurch die zweite Hälfte des Buches gerne mal wie im Flug verfliegt und nicht mehr so viel Hänge bleibt.
Der Nachteil liegt auch auf der Hand. Man kann nicht alle Autoren mögen und so sind nicht alle der (wahrscheinlich) 155  Texte mein Fall. Bei einem Autor, den man kennt, kann man sich da schon sicherer sein, dass die Werke einem schmecken.

Einige der prosaischen Texte waren mir ein wenig zu belanglos. Von Menschen über Alltagssituationen unterrichtet zu werden, ist nicht unbedingt spannend. Da lob' ich mir doch die Gedichte. Witzig, knackig... und... es reimt sich.

Durch die Kürze der Texte stellt sehr schnell ein „Gehirnsättigungsgefühl“ ein. Wenn man Mehrere hintereinander wegliest, wird man von Handlung zu Handlung und von Ort zu Ort herumgeworfen – ziemlich unsanft sogar. Die Kategorisierung hilft da nur eingeschränkt.
Die Folge: Nach dreißig Seiten sagt mein Kopf „Jetzt ist Schluss, lass mich erstmal verarbeiten, trink dir nen Latte Machiatto und wir reden nochmal in ner Viertelstunde.“
Soll heißen: Vielleicht ist die Lektüre nicht die beste abend- oder nachtfüllende Tätigkeit, sondern eher eine Zwischenzeitüberbrückung. Gerade im müden Zustand bin ich über die magischen 30 Seiten (und damit auch fast 30 Texte) nicht hinausgekommen.

Fazit:

Empfehlen kann ich „155 Kurze“ für jeden der ein Buch braucht, das man 30 Sekunden in der Hand hat und trotzdem nicht nur versucht haben will, sich einem Buchstabenwald vertraut zu machen. Wenn ihr im Wartezimmer der Zahnarztpraxis sitzt und euch die Bunte zu niveaulos ist, dann bietet das Buch eine gute Alternativlösung.


Natürlich hat das Buch seine persönlichen Höhen und Tiefen für mich gehabt. Es gab belanglose Geschichten, Texte, die mich einfach nur verwirrt haben und Meinungen, die ich nicht geteilt habe. Dennoch hat mich das Buch gut unterhalten und erhält von mir die Wertung „Schöne Ansammlung lächerlich kurzer Texte, die keinen Zusammenhang haben und doch zum Nachdenken und Lachen anregen“.

Ich habe einen Verwendungsvorschlag des Klapptextes befolgt und dieses Buch wirklich auf mein Tablett-Pc ins Badezimmer gelegt. Dass ich es so schnell durch hatte zeugt entweder von der Kürze der einzelnen Werke, meinem Spass an den teils skurrilen Texten oder schlicht und einfach meiner Inkontinenz. Man weiß es nicht.

 

Daten:

Titel: 155 Kurz

Herausgeber: Wolf Hogenkamp & BjörnHögsdal

Genre: Kurztext-Anthalogie

Seitenzahl: 228 + Inhaltsverzeichnis und Reklame

ISBN: 987-3-938470-79-4

Verlag: Lektora

Preis: 12,90 €

Link (mit Liste aller Beteiligter Texter): http://www.lektora.de/te_produkt/155-kurze-aus-der-poetry-slam-szene/

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Gone - Verloren

Gone Das Buch, das der Pilot einer (laut wikipedia) sechsteiligen Jugendbuchserie ist. Das Buch, das neongelbe Seitenränder besitzt. Das Buch, das ich komplett durchgelesen habe. Spoilerwarnung: In diesem Text werden viele Charaktere und Handlungen erzählt, die dem Leser in beim Lesen eigentlich ein "AHHHH"-Erlebnis schenken sollen. Wenn Sie nicht sicher sind, ob Sie sich das Buch anschaffen sollen, dann kaufen Sie es sich einfach, ohne diesen Text zu lesen. Sie werden es nicht bereuen. Wenn du dieses Buch als Englischlektüre hast - was ich für sehr unwahrscheinlich halte - solltest du zuerst deiner/deinem Englischlehrer/-in unendlich dankbar sein, denn so ein Glück haben nur sehr wenige, und danach das Buch lesen, anstatt kurz eine Zusammenfassung aus dem Internet auszudrucken und in die Schule mitzubringen, denn Schummeln ist doof und mehr als die ersten paar Seiten werde ich natürlich nicht vorwegnehmen. Inhalt: ( Die Anfangssituation kurz geschildert) Auf den

Arne Dahl - Falsche Opfer

Der Meister des Running Gags hat wieder einmal zugeschlagen. Das dritte Buch Falsche Opfer ist als direkte Handlungsfortsetzung von „Böses Blut“ anzusehen - auch wenn es in jedem Buch einen abgeschlossenen Fall gibt - da die A-Gruppe mit den Konsequenzen des Kentucky-Mörder-Falls in diesem Band noch lange zu kämpfen hat. Die A-Gruppe arbeitet in Kleingruppen an verschiedenen kleineren Fällen. So kümmern sie sich zu Hjelm und Holm um eine Kneipenschlägerei, Norlander und Söderstedt um eine Gefängnisexplosion und Chavez übernimmt alleine eine Schießerei. Anfangs war ich aufgrund der ziemlich unspektakulären Fälle ein wenig enttäuscht. Entgegen meiner Vermutung handelte es sich dabei nämlich nicht um eine Einleitung, im Stile der Geiselnahme im zweiten Kapitel von Misterioso. Das Ganze zieht sich zu Beginn ein wenig hin. Aber im Mittelteil zeichnen sich gewisse Muster ab und bis zum Ende verweben sich die Fäden immer mehr und bilden ein Gesamtkonstrukt, das beeindruckend ist. So