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Hin und zurück - nur bergauf! - Die Welt des Jan Philipp Zymny


„Ey, das ist auf'm Kopf“, kam es von der anderen Seite der Klasse. Ich sparte mir den Kommentar, dass in moderner Kunst alles erlaubt sei und es im Weltall weitaus schwieriger sei, oben und unten zu definieren (, außerdem wurde der Junge auf dem Cover ordnungsgemäß von dem Planeten angezogen).
11:45 Uhr. Geschichtsunterricht. Lehrer kommt nicht und wir müssen trotzdem zum Schlafen in der Klasse bleiben. „Selbständiges Lernen“ wurde es von den Erfindern des Systems getauft. 'Wenn ich schon mal hier bin, kann ich mir auch mein neues Buch vornehmen', hatte ich mir gedacht.
Ich hatte falsch gedacht. Ist nichts mit Lesen. Kurz nach der Bemerkung des nervtötenden Jungen gegenüber bemerkte ich zwei andere, die hinter mir standen und ihre Nase ebenfalls in mein Buch steckten. „Ugh Ugh Ugh Ugh Ugh?“, las der eine halb belustigt, halb verwirrt vor. „Häh, ist der gestört?“, wurde er von dem anderen ergänzt. Leicht sauer steckte ich mein Buch wieder ein.
Nach einigen Tag und der Lektüre in meinem ruhigen Haus muss ich gestehen, dass der Junge, der leider die selbe Schule besucht und auch noch im selben Alter ist wie ich, vollkommen Recht hatte. Jan Philipp Zymny ist wahnsinnig.

Hin und zurück – nur bergauf!“ mag von der äußeren Erscheinung zwar harmlos aussehen, doch es enthält viel derben Humor. So hält zum Beispiel die Rubrik „Kurz und Unangebracht“ genau das, was die Überschrift verspricht. Zynische Komik, über die man herzhaft lachen kann. Tabus, gibt es nur beschränkt. Jan Philipp Zymny zieht alles durch den Kakao, das sich nicht wehren kann. Katholische Priester, Bibliothekarinnen, Entdecker, die jeden Bezug zur Realität verloren haben, seine eigene Schwester und sogar er selbst bleiben von ihm nicht verschont. Durch eine selbstironische, herablassende Sichtweise auf seine eigene Person entsteht beispielsweise ein unfassbar lustiger Text, der zu meinen Highlights in diesem Buch gehört.

Ob er Affen, oder Roboter Gedichte schreiben lässt, oder selbst den Autor spielt, um seine Protagonisten in irrwitzige Situationen zu lenken, das Gesamtkonzept lautet: So wenig Regeln wie möglich einhalten, um etwas ganz Anderes zu schaffen. Das beginnt bei dem Buchumschlag (moderne Kunst) und zieht sich durch die Kleintextrubriken , sowie die Poetry-Slam Werke.
Selbst geschriebene Texte werden mit dem Google-Übersetzer zerschreddert, Weltliteratur von ihm höchstpersönlich verschandelt. Zurück bleiben verstümmelte Worte, die vor allen Dingen eins sind. Witzig!
Sein Humor ist mitreißend und ansteckend.

Als Vertreter der Deutschunterrichtverachter hatte ich besonders Spaß bei der modernen Neuauflage von Goethes Erlkönig und Faust und dem Text „Von dem merkwürdigen Zufall, dass zwei Männer in derselben Müllpresse landen“, der das aristotelische Drama auf die Schippe nimmt.

Der Wuppertaler Slammer ersinnt sich völlig abstrusen Geschichten von Mörderbauern und Torsofetischisten, von Eugen-Jonathan und Sabine, und schweift dabei immer wieder in die 6. Dimension ab.
Neben unterhaltsamer Kurzprosa ist auch vereinzelt Lyrik in „Hin und zurück – nur bergauf!“ anzutreffen. Darunter befindet sich auch eine Arbeit, die in Zusammenarbeit mit Fabian Navarro entstanden ist.

Jan Philipp Zymny hat eine ganz eigene Form von „Wahnsinn“. Er vollzieht rapide Handlungswechsel und teilweise ist es unmöglich seinem Gedankengang zu folgen. Der Sprung von einer Mutter im Kinderwagen zu einer Call-In Tv Show und weiter zu einem Moloch in der örtlichen Kanalisation vollzieht er im Affenzahn und lässt den Leser überwältigt zurück. Seine Gedanken sind schneller als das Licht. Nur so schaft es Jan Philipp Zymny das Universum als ein sechs dimensionalen Hyperraum zu beschreiben.
Leider driftet er jedoch in einigen Texten ins Banale/Alberne ab. Ein Beispiel dafür ist die Rubrik „Verlierer der Evolution“. Darin werden ausgedachte Tiere beschrieben, die unpassende Körperteile haben. Die Komik der wie Lexikonartikel aussehenden Beschreibungen der Fantasietiere hat sich mir nicht erschlossen. Allerdings sind es nur zwei Seiten, die sich um die verunstalteten Kreaturen drehen.
Auch die Geschichte von einem Opa, der seinem Enkel keinen einzelnen Satz eines Märchens vorlesen kann, ohne sich ständig in Geschichten von seiner Vergangenheit zu verfangen, ist nur teilweise humoristisch.

Zugegeben, diese Texte sind nur Ausnahmefälle. Meistens - so auch beim Lesen der Tagebücher seiner Schwester und eines Mannes, der in einem Möbellager gestrandet ist - kann man sich nur schwierig das Lachen verkneifen.

Dafür gibt es einige kritische, oder tiefgründige Geschichten, die eine Aussage haben und Denkanstöße bieten.
Für mich sind es genau diese Texte, die jedes Buch einzigartig machen. In den großartigen Kurzerzählungen „Fieber“ und „Igel-Geschichten“ werden viele Probleme thematisiert, mit denen jeder Mensch täglich konfrontiert wird: Beziehungsproblemen, Einsamkeit, Depressivität, dystopischen Zukunftsvorstellungen und dem Tod. Diese Texte sind dennoch mit ein wenig Komik ausgeschmückt, um den Umgang mit diesen Themen aufzulockern.
In „Gesprächskultur“ wird eine Fernsehtalkshow satirisch kritisch betrachtet. Sehr amüsant und wahrscheinlich auch nicht ganz wahrheitsfremd.

Durch kleine Anspielungen auf andere Charaktere des Buches werden die Geschichten geschickt leicht miteinander verwebt. Am deutlichsten ist dies in „Die 6. Dimension“. In der etwas längere und letzten Kurzgeschichte reist ein Wissenschaftler in den sechs dimensionalen Raum und erklärt zwischendurch, warum sich das Universum stetig ausdehnt. Auf diesen Seiten tauchen noch einmal alle Handlungen und Personen des Buches auf, die sich zu einem großen Finale alle in einem großen Freizeitpark im 6 dimensionalen Raum treffen. Dadurch wird die reine Kleintextsammlung zu einer Art zusammenhängendem Gebilde aufgewertet.

In seinem Erstlingswerk schöpft Jan Philipp Zymny aus den vollen der ihm zur Verfügung stehenden Instrumentarien. Er bedient sich nicht nur Stilmitteln der Literatur (wie einem Haufen an Metaphern und Symbolen), sonder auch der Film- und Musikbranche (Cliff-hanger / Hidden Track).

Fazit: Die Komik des Jan Philipp Zymnys ist überwiegend genial. Die kleinen, vereinzelten tiefsinnbefreiten Texte geraten durch die wenigen ernsteren und vielen urkomischen Geschichten schnell in Vergessenheit. Nach der Lektüre dieses Buches hat man den Lachmuskel vollkommen ausgereizt, einige interessante Gedankenanstöße erhalten und nebenbei das größte physikalische Problem der Neuzeit gelöst.
Das Buch enthält viele Texte für die Generation der Facebook Freunde und Wikipedia Akademiker und ist ein Geschenktipp für Menschen, die immer noch der Meinung sind, dass Bücher langweilig seien. Denn Langeweile kommt bei der Lektüre von „Hin und zurück – nur bergauf!“ nicht auf. Höchstens Verwirrung.

Die großen Zeitungen hätten in ihrem Feuilleton sicherlich einen Artikel zu diesem Buch erscheinen lassen, wenn sie es verstanden hätten.

Daten:
Name: Hin und zurück – nur bergauf! - Die Welt des Jan Philipp Zymny
Autor: Jan Philipp Zymny
Verlag: Lektora, Paderborn
Seitenanzahl: 152
Genre: Überwiegend Humor in Kurzgeschichten
ISBN: 978-3-938470-78-7

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