Bis vor kurzem waren es nur Fachvokabeln – ausschließlich im Sozialwissenschaftsunterricht zu gebrauchen – doch nun schreie ich es in meinen schlimmsten Albträumen: „Nano, Makro, Nano, Makro.“
Ein bisschen verstörend ist der erste
Teil der neuen Sci-Fi Jugendbuchreihe von Michael Grant. BZRK. Der
Kern der ganzen Geschichte ist eine spannende Idee, die sehr lebendig
und vor allen Dingen realistisch umgesetzt wird. Die
Nano-Technologie.
Es steht zwar als Jugendbuch im
Buchhandel, ist meiner Meinung nach aber noch einen Tick heftiger
als die ohnehin schon nicht leichte Kost „Gone“. Es ist
keinesfalls anspruchslos und für Action ist einiges an Platz
eingeplant. Mein Vater hat sich das Buch gekauft, noch bevor ich es
konnte, und fand es sogar noch besser als die ersten drei Teile der
Gone-Reihe. Ich kann da nur zustimmen.
Meiner Meinung nach ist es äußerst
schwierig eine Inhaltsangabe, oder besser gesagt die
Einstiegssituation nachzuerzählen, ohne dem Buch etwas wegzunehmen.
Denn der Anfang lebt von dem Unwissen des Lesers. Wie in einer guten
Kurzgeschichte findet man sich mitten in einer Geschichte wieder, von
der man weder den Anfang kennt, noch versteht was in der Jetzt-Zeit
vor sich geht. Da wird man auf jeder Buchseite mit einem neuen
Charakter beworfen und stellt sich bei jedem aufs Neue die
Gut-oder-Böse Frage. Erst im weiteren Verlauf zeichnen sich die
Gruppenstrukturen ab. Das muss man nicht gut finden, aber mich hat
gerade diese Verwirrung am Anfang des Buches zum Lesen angehalten,
wodurch ich untypischerweise zu Beginn schneller und mehr gelesen
habe als am Höhepunkt der Geschichte. Außerdem liebe ich das
Gefühl, wenn man sich plötzlich durch das Weiterlesen einen Reim
auf das Vorhergeschriebene machen kann. Ein weitere Punkt ist, dass
das eigene Gedankenchaos das der Protagonisten widerspiegelt, woraus
ein besseres Verständnis für deren Gefühlslage resultiert.
Soviel ist zu sagen: Es gibt einen
Krieg. Doch nur die Eingeweihten wissen überhaupt von dessen
Existenz. Er spielt sich im Untergrund ab. Teilweise erinnert das ein
wenig an Spionagegeschichten a la MI6. Der Effekt wird dadurch
verstärkt, dass zwischen den einzelnen Kapiteln gerne so genannte
„Artefakte“ geschrieben stehen. Streng geheime Mitteilungsfetzen,
die nur die betreffenden Personen und der Leser zu Gesicht bekommt.
Es ist, als würde man heimlich in den Geheimakten der
Untergrundorganisationen stöbern. Eine schöne Idee, um den Leser
mehr in die Geschichte einzubinden.
Des weiteren ist dieser Krieg quasi
unsichtbar. Denn er spielt sich auf der Nano-Ebene ab. Unbemerkt
schleichen sich Roboter in ahnungslose Gehirne und treiben deren
Benutzer in den Wahnsinn.
Dabei sind zwei Dinge besonders
hervorzuheben, denn für mich gestalten sie diese ohnehin schon
geniale Grundidee noch interessanter.
Zum einen sind die Parteien nicht in
Gut und Böse aufzuteilen. Man merkt früh, dass jeder Charakter
Beweggründe für sein Handeln hat und diese sind ausnahmsweise mal
nicht „Weil er Böse ist. Evil. Die dunkle Seite, eben. Man so was
fragt man nicht, das macht das ganze voll kaputt.“. Man kann jede
Haltung in gewisser Weise nachvollziehen und dadurch gestaltet sich
die Geschichte als besonders realistisch und nachvollziehbar.
Zum anderen benutzen beide Parteien
zwar die Nano-Technologie, dennoch haben sie sie unterschiedlich
weiterentwickelt. So bestreiten sie ungleiche Kämpfe, da jede
Entwicklung ihre Vor- und Nachteile hat.
Michael Grant bleibt Michael Grant. Es
sind folglich einige prägnante Stilelemente aus der Gone-Reihe in
diesem Buch wiederzufinden.
Darunter fällt zum Beispiel die
Tatsache, dass es eine Vielzahl an Charakteren mit ihren eigenen
Hintergründen und Lebenswegen gibt, die sich erst nach einiger Zeit
kreuzen. Aber auch dann wird eine Situation rapide von einer anderen
parallel an einem anderen Ort von einem anderen Charakter Erlebten
unterbrochen. Analog dazu wechselt auch der personale Erzähler. So
erfährt der Leser die Gedanken und Gefühle aller Personen,
sympathisiert allerdings mit den Hauptcharakteren, dessen
Erzählperspektive natürlich überwiegt. Teilweise wechseln die
Handlungsorte im Seitentakt. Beliebt ist auch das Erzählen ein und
derselben Situation aus verschiedenen Perspektiven. Das Ganze
erinnert ein wenig an Stephen King.
Die Charaktere sind – auch nicht
zuletzt wegen diesem Erzählstil – sehr vielschichtig. Jede Person
hat eigene Beweggründe, Geschichten, und Gedanken. Vor allen Dingen
die Hauptcharaktere sind sehr gut ausgefeilt. Bei den
Nebencharakteren bedient sich Michael Grants eines kleinen Tricks,
der auch in Gone Anwendung findet. Jede Person hat ein einzigartiges,
meist witziges, prägnantes Merkmal. Dadurch denkt man bei keinem
Namen „Wer war das denn jetzt nochmal?“, weil dem Namen direkt
eine Eigenheit zugeordnet wird, die man wiedererkennt, egal, wie
lange das Buch im Regal verstaubt ist.
In wohl keinem Jugendbuch fehlt eine
Liebesgeschichte. Allerdings muss ich sagen, dass mir die Geschichte
mit Sam und Astrid aus Gone schon ausreicht. Dieses Buch wäre auch
ohne eine ausgekommen, zumal die Ähnlichkeiten der beiden Schnulzen
viel zu groß sind. Das ist ein unnötiger Lückenfüller.
Die Unterschiede sind jedoch auch
deutlich zu erkennen und festzuhalten:
Neu und einzigartig ist für mich die
Beschreibungen der Oberflächen und Dinge auf der Nano-Ebene. Das
Auge wird zu einem atemberaubenden neuen Planeten und Hautmilben zu
scheußlichen Monstern. Michael Grant schreibt hier mit viel
Phantasie und Detailreichtum und lässt aus etwas Alltäglichem eine
ganz neue Welt entstehen. Ich hätte nicht gedacht, dass ich einmal
von einem menschlichen Ohr, oder einer Hand so fasziniert sein kann.
Das Augenmerk lag in diesem Buch also nicht nur auf den Charakteren
und der Handlung, sondern auch auf der Landschaft – auch wenn es
keine Landschaft ist, die man sich so vorstellt. Michael Grant hat
eine ganz neue Facette seines Schreibens gezeigt.
Während Gone eine völlig neue Welt
beschreibt mit einer Vielzahl an Problemen und Fragen, die Teil für
Teil ein Stück weit gelöst werden, spielt BZRK in der nahen Zukunft
und ist eine gar nicht mal derart abwegige Geschichte. Beschrieben
wird ein normales Leben, indem allerdings die Technik schon große
Fortschritte gemacht hat. Für mich hätte BZRK daher ein Einteiler
werden sollen. Mit ein paar Seiten mehr hätte die Geschichte ein
schönes Ende gefunden (ob happy end oder Tragödie wäre noch zu
klären). Natürlich ist aus der Nano-Welt noch einiges
herauszuholen, aber das hätte man auch den Gedanken des Lesers
überlassen können. Vielleicht irre ich mich auch, weil Michael
Grant ein viel bombastischeres Ende vorgesehen hat, aber der Ausgang
des ersten Teiles hat mich ein bisschen aggressiv gemacht. So auf ein
Ende zuzusteuern und es dann doch wieder fallen zu lassen, macht für
mir ein bisschen die Glaubwürdigkeit und Realität kaputt (man denke
an das Staffelfinale der 2. Staffel von V – Die Besucher). Ich
hasse dailysoapartige Endlosgeschichten.
Ich weiß, dass das ein bisschen unfair
ist, die beiden Serien so sehr miteinander zu vergleichen. Alle
Autoren schreiben mehrere Bücher und die Erzählstile ähneln sich
verständlicherweise. Aber ich finde, wenn Michael Grant schon sechs
Bücher für eine Reihe in Anspruch nimmt, dann sollte sich die
nächste Serie deutlich davon absetzen. Aber die vereinzelten
Ähnlichkeiten (z. B. Die Liebesgeschichte, das Ende mit der
Tatsache, dass es sich um einen Mehrteiler handelt) haben den
überwältigenden Eindruck des Buches leicht getrübt.
Leider sind in mir leichte dem Ausgang
der Geschichte geschuldeten Aggressionen aufgekommen, als ich das
Bzrk an seinen vorgesehenen Platz im Regal stellte. Bis dahin war es
allerdings ein sehr sehr gutes und spannendes Buch, dass mich quasi
an jeder Stelle dazu angeregt hat weiterzulesen. Es gab keine Längen,
der Spannungsbogen ging niemals verloren, selbst während der
Charakterzeichnung nicht. Michael Grant versteht es Pageturner zu
schreiben. Ganz stark finde ich die Handlung und Idee des Buches,
aber auch die fesselnden Oberflächen- und
Lebewesen-Unter-der-Lupe-Beschreibungen. Auch die Charaktere sind
wieder sehr stark gesetzt.
Es sind noch einige Extras zu diesem
Buch im Internet zu finden. Damit wurde zum Release des Werkes auch
viel geworben. Ich empfehle das Material erst nach dem Buch zu
sichten. Zwar gibt es keine Spoiler zu der Geschichte (wäre auch ein
Eigentor von Michael Grant), aber es macht mehr Spaß die Texte und
Videos anzuschauen, wenn man bereits in die fremde Welt bereits
eingetaucht ist. Zwar habe ich mir noch nicht viel zu Gemüte getan,
aber da scheint einiges an Arbeit hintergesteckt zu haben. So gibt es
einzelne Internetseite für beide konkurrierende Parteien
(www.goBzrk.com und
www.nexushumanus.com).
Letztere hat sogar einen eigenen YouTube-Channel. Es gibt auch eine
eigene Spiele-App mit der man seinen eigenen Bioten steuern kann.
Auch wenn das Spiel meiner Meinung nach nicht ganz die Logik des
Buches wiederspiegelt, ist es ein netter Zeitvertreib und die Grafik
ist wirklich gut gelungen. All das ist eine schöne Überbrückung
bis zum Erschienen des zweiten Bandes. Leider findet es keinen großes
Anklang. So kann man mit 209 Klicks (Stand 29.07.2012) für das Video
http://www.youtube.com/watch?v=nb_6Z_h_JbA
keinesfalls zufrieden sein. Schade. Eigentlich ein cooles Projekt.
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