Obwohl ich noch nie ein Buch von Simon Beckett gelesen habe, weiß ich, dass Tiere nicht im Entferntesten etwas mit seinen Bestsellern zu tun hat. Das Buch liegt komplett abseits des Mainstreams seiner zeitgenössischen Werken und zieht seinen Reiz daher vor allen Dingen aus einem Merkmal: Es ist anders.
Verwesung war eines der
Büchergeschenke, die mein Vater zu seinem letzten Geburtstag bekam.
Nach der Lektüre war seine Einschätzung: „Ganz gut“.
„'Ganz gut' reicht mir“, dachte ich
mir, als ich Tiere auf dem Grabbeltisch meines Lieblingssupermarktes
sah. Es war wegen einem Schlitz im Cover auf 4 Euro runtergesetzt und
landete schneller in meinem Einkaufswagen, als mein Gehirn die
eigentliche Kaufentscheidung treffen konnte.
Das Werk ist aus der rororo-Reihe „Wir
verwursten den alten Mist eines bekannter englischen
Krimi-Schriftstellers“. Bei Amazon.de habe ich kein ungebrauchtes
Buch der englischen Originale der vier Bücher gefunden, die nun ins
Deutsche übersetzt wurden. Für die in den 90ern erschienenen Bücher
interessierte sich in Deutschland kein Schwein. Ist ja auch logisch,
denn selbst in England hat sich nur ein kleiner Verlag gefunden, der
Becketts Werke rausbringen wollte und es war kein Bestseller, wie
Stephen King ihn am laufenden Band produzieren kann. Erst mit dem
Erfolg wird man aufmerksam. Und wenn Simon Beckett in Deutschland
grade so gut läuft, kann man auch mal die älteren Werke kurz
übersetzen, die Bücher sind ja nicht so lang, und schnell noch in
der Welle des Erfolges mit schwimmen lassen.
Erst einmal wieder beruhigen. Zum
Inhalt:
Nigels Leben besteht aus zwei
Bereichen.
Zum einen arbeitet er als „Mädchen
für alles“ in einem Büro. Keiner nimmt ihn wahr; und wenn nicht
ernst. Er wird von seinen Mitarbeitern getriezt. Eigentlich existiert
er für niemanden so wirklich.
Zum anderen kümmert er sich gerne um
seine Haustiere, die er in Zwingern in seinem großen schalldichten
Keller hält. Er füttert sich täglich und versucht sie zu
dressieren. Das gelingt ihm allerdings nur eingeschränkt, denn sie
sind widerwillig in dem Keller.
Seine Haustiere hat er sich selbst
gefangen. Sie wollten Alkohol von ihm, oder saßen einfach nur da.
Oder um es deutlich zu sagen: Nigel
reinigt die Straßen, indem er die Obdachlosen in seinen Keller
einsperrt.
Eine nette Idee, die auch sehr gut
ausgereift ist. Nur leider ist es die einzige, die es in diesem Buch
gibt. Die Ausgangssituation ist quasi das spannendste der ganzen
Geschichte. Es deuten sich zwar Spannungen an, doch die
Handlungsfäden werden nicht weiter gesponnen und verlieren sich
wieder.
In der Hälfte des Buches bereitet
Nigel sich auf einen Besuch zweier Kolleginnen vor. Er kauft Videos
und Chips und putzt das Haus.
Eigentlich eine stinklangweilige Geschichte.
Doch es sind andere Dinge, die Tiere ausmachen.
Da wäre zum Einen der ungewöhnliche
Schreibstil. Die Geschichte ist aus Nigels Sicht als Ich-Erzähler
geschrieben. Dadurch dringt man ganz tief in die Psyche des Mannes
ein. In gewisser Weise identifiziert man sich auch mit dem
Kriminellen. Ich habe über das ganze Buch mit ihm mitgefühlt, war
sauer über die Menschen, die ihn klein gemacht haben, und freute
mich, wenn er Besuch bekam.
Man merkt schnell, dass Nigel geistig
ein wenig zurückgeblieben, gar vor-pubertär ist. Sein Schreibstil
ist sehr einfach. Er bleibt auf der deskriptiven Ebene und die
einzigen Emotionen, die er in Worte fassen kann sind „Ich mag ihn
nicht“, oder „Ich wurde rot“. Paradoxerweise erleichtert dieser
Minimalismus nicht nur den Lesefluss, sondern ist auch sehr
interessant, denn er zeigt eindrucksvoll, was in dem Kopf des so
kaltblütigen Entführers und Folterers vorgeht. Dadurch wird die
Zwiegespaltenheit seiner Person sehr gut deutlich.
Des Weiteren gibt es zahlreiche
Rückblenden, in der Nigel von seiner Kindheit und Jugendzeit
erzählt. Dort bekommt man einen Eindruck von dem Umfeld, indem diese
verwirrte und in gewisser Weise hilfsbedürftige Persönlichkeit
aufgewachsen ist, und warum er zu dem Menschen geworden ist, der er
ist.
Die gewaltige Tiefe dieses Aspektes ist
beeindruckend. Und genau durch diese ungewöhnliche Erzählart will
man das Buch weiterlesen. Man möchte mehr über diesen Menschen
erfahren, will wissen, ob Nigel sich endlich gegen die Sticheleien
auf der Arbeit zur Wehr setzen kann und ob er seine Angst vor Frauen
überwinden kann.
Im späteren Teil des Buches gerät die
dunkle Seite seiner Persönlichkeit leider in wenig in Vergessenheit.
Für mich ging es nachher zu viel um sein Privatleben als um das, was
wirklich den Reiz des Buches ausgemacht hat: Die Frage, warum er
diese Menschen einsperrt, wie die Gefangenen sich verhalten und wie
das Ganze ausgeht.
Das Ende hat mich auf ganzer Linie
enttäuscht. Alle meine Vermutungen für den Ausgang der Geschichte
stellten sich als falsch heraus. Die Handlung endet
kurzgeschichtenmäßig ein wenig unvermittelt. Vor allen Dingen wurde
das grundlegende Problem beim Abschluss nicht ausreichend bedient.
Simon Beckett hat einen anderen Höhepunkt gesetzt, als ich ihn erwartet und gewünscht hatte. Es gibt keine Moral, kein alles auflösendes Ende, keine Katastrophe und kein happy end. Es gibt nur ein Ende.
Grundsätzlich darf man von diesem Buch
nicht zu viel erwarten. Wäre es ein Film, wäre er in der Kategorie
Thrash anzusiedeln. Wahrscheinlich wäre ich enttäuscht gewesen,
wenn ich Tiere aufgrund eines der neueren seiner Werke gekauft hätte,
und bei dem ausschlaggebenden Kriterium in den USA, der Spannung,
benutzt man das Buch dort wahrscheinlich wirklich zum Arsch abputzen,
aber mich hat die Geschichte um einen introvertierten zurückgezogenen
Mann mit einer etwas unorthodoxen Weltauffassung gut unterhalten.
Viel interessanter als die Handlungen
in der Geschichte, ist nämlich die passiv durchsickernde Frage nach
Freiheit. Sind die Gefangenen aufgrund der Gitterstäbe weniger frei
als der erwachsene Junge, der niemals die Chance hatte seine eigene
Persönlichkeit frei zu entfalten?
Wer diese Frage spannend findet, dem sei zu dem Kauf geraten.
Wer diese Frage spannend findet, dem sei zu dem Kauf geraten.
Wer allerdings einen Thriller lesen
möchte, sollte auf jeden Fall die Finger von dem Buch lassen.
Fazit: Simon Beckett hatte früher das
Handbuch zum Schreiben von Bestsellern noch nicht verinnerlicht. Nur
so kann man sich das Buch erklären. Es ist eine kurzweilige
Geschichte, die mich am Anfang schnell mitgerissen, im Mittelteil in
die Psyche eines sehr interessanten Mensch blicken lassen und am Ende
leider massiv verloren hat.
Vier Euro ist ein Schnäppchen für die
Zeit, in der ich das Buch in mich aufgenommen habe, ansonsten würde
ich sagen es ist „Ganz gut“.
Daten:
Titel: Tiere
Autor: Simon Beckett
Genre: Thriller (????)
Seiten: 284
ISBN: 987-3-499-24915-0
Preis: 9,99 €
Verlag: Rowohlt
Erscheinungsjahr des Originals: 1995
Erscheinungsjahr der deutschen Übersetzung: 2011
Preis: 9,99 €
Verlag: Rowohlt
Erscheinungsjahr des Originals: 1995
Erscheinungsjahr der deutschen Übersetzung: 2011
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