Direkt zum Hauptbereich

Wind auf deiner Asche - Dominique M. Träger

Der ewige Begleiter zeigt sein wahres Gesicht. In „Wind auf deiner Asche“ ist der Tod so allgegenwärtig wie im richtigen Leben und doch erlebt man die Brief-, Lied- und Fließtexte von Dominique M. Träger in einer Art Traumzustand.


Die Prosafragmente überzeugen von Anfang an mit dem riesigen Wortschatz, aus dem sich Träger bedient. So kommt trotz der Umgangssprache und Textform eine Art lyrisches Gefühl auf. Diese Atmosphäre harmoniert perfekt mit dem Inhalt und Aufbau des ersten Teils. Obwohl ich anfangs Probleme hatte, die verschiedenen Absätze in Verbindung zu bringen, ergibt sich immer mehr ein vollständiges, wenn auch verwirrendes, überwältigendes Bild. Fäden werden weitergesponnen, Gedanken wieder aufgenommen und Geschichten weitergeschrieben. Alles zusammengehalten von den Gedanken des Mannes, den ich noch nie gesehen habe, aber dem ich mich näher fühle, als vielen Menschen, die ich täglich treffe.


Das leitende Motiv ist der Tod. Der Erzähler verewigt die Zeit unmittelbar nach dem Tod des wichtigsten Menschen seines Lebens. Der Verlust hat ihn aus der Bahn des Lebens geworfen und drückt ihn mit unmenschlicher Kraft nach unten. Er versucht die Depression in Worte zu fassen und sie so greifbarer zu machen. Durch die Nähe, die die Sprache vermittelt, muss man einfach mitleiden. Ich kam beim Lesen nicht umhin, meine persönlichen Probleme in die Geschichte zu projizieren. Dadurch, dass er Worte für die Trauer fand, fühlte ich mich nach dem Lesen ein wenig befreit. Trotzdem schwang immer das Schamgefühl mit, die Gedanken eines Fremden, dessen Dimension unfassbar ist, abends bei einer Tasse Tee im Bett zu konsumieren.

Ein bisschen Gesellschaftskritik ist auch dabei. „Wir spüren ihn nicht“, definitiv mein Favoritenabsatz, denn ich wage es nicht einen Teil losgelöst von dem Ganzen anzusehen, ist ein offener Text über etwas, dass schon lange in Vergessenheit geraten ist, und nun irgendwo in uns hinvegetiert. Dadurch, dass das Subjekt nicht genannt ist, kommt sofort die Frage auf, worum es sich handelt. Was haben wir vergessen?

Die Wechsel von Realität und Traum sind so abrupt, dass es einerseits verwirrend ist, mit einer Verwirrung, die dieser Text mit Sicherheit vermitteln will, andererseits aber auch ein wenig anstrengend.

Es ist nicht einfach den Sätzen zu folgen. Darum ist es auf keinen Fall mit einem Roman zu vergleichen, bei dem jeder Lesestocker hinderlich sein kann. Hier ist man gezwungen dreimal dieselben vier Wörter zu lesen, um auch nur den Hauch einer Interpretationsmöglichkeit zu gewinnen. Ich weiß, dass ich das häufig sage, aber in diesem Fall sehe ich sogar noch eine Intensivierung zur Slam Lyrik.

Obwohl in der Mitte des Buches sind die Liedtexte, die ohne Melodien natürlich eher wie Gedichte erscheinen, nicht unbedingt der Hauptteil. Gewiss sind viele Texte eindrucksvoll und man kann aus ihnen einiges mitnehmen, doch bei den beiden anderen Parts ist mir im rückwirkend betrachtet einfach mehr hängen geblieben und, falls man das so ausdrücken kann, haben mich die Prosafragmente und Briefe auch deutlich mehr unterhalten und zum Lesen angeregt. Die Lyrik hat meinen Lesefluss ein wenig beeinträchtigt und das Buch ist einige Male auf dem Schachtisch verschwunden. Schade eigentlich, weil sich dadurch die Perle, die auf den letzten Seiten auf den Leser wartet, viel zu lange vor mir versteckt hielt.
Sie handeln von der Ewigkeit gepaart mit Märchenhaften, verbindet Tod und Leben und sind ein Versuch, das Triste darzustellen. Wer war nicht schonmal „Wunschlos unglücklich“? „Unruhiger Geist“ ist eine Verdichtung aller Probleme, die beim nachts im Bett vor sich hin Denken immer mal gerne anklopfen und den Geist und Schlaf annagen. Dieses Reflektierende Element in den Strophen gefällt mir sehr gut.
Insgesamt sind Trägers Texte sehr gewaltbespikt. Keine Minute vergeht ohne einen Gedanken an den Krieg, das Verenden und den Schmerz. Da jagen sie, da kämpfen sie, da kämpft man mit ihnen und die Natur um alle herum. Doch eins kämpft immer mit: Der Tod. Selbst die Tiere sind nicht sicher, sie sind nichts weiter als Beute. Natürlich trifft er damit irgendwie ein Zeitgefühl. Wer hat sich noch keine Gedanken über sein eigenes Ableben gemacht? Dennoch hätte ich mir ein bisschen mehr Abwechslung in der Thematik gewünscht. Neben den ganzen Kriegsszenerien habe ich ruhigere Texte wie „Der goldene Käfig“ genossen, auch wenn man in den letzten Strophen von einem kleinen schwarzen giftigen Etwas zu Tode gebissen wird. Die Brutalität im Mittelteil ist in Bezug auf die sonst so intensiven (, aber dennoch ruhigen), eher introvertierten Worte eher unpassend.

Besonders interessant fand ich die triste, aber auch teilweise innige Beziehung zwischen „ich“ und „du“, oder auch „wir“ (z. B. In „Wir sind eine Armee“). Aber auch ohne „du“ als Selbstreflexion. Mir haben auch die Texte gefallen, in denen die Reime einen Leserythmus vorgaben, der mich zum Lautlesen angetrieben hat.

Doch es sind nicht die Texte selbst, die bleiben und in meinem Kopf wachsen. Der Inhalt ist gar nicht mal so wichtig. Es sind die vielen Eindrücke, die auf mich herabgeprasselt sind, die Bilderfluten und wortgewaltigen Bäche, die mich davongetragen haben. Durch diese teils romantischen Einschläge fangen die Zeilen an zu leben.

Überraschend stark zeigten sich die Briefe von D. an Hein Hackebein. Meine Skepsis über die ungewöhnliche Wahl der Umgebungstopographie, Ägypten, wich schnell der Neugier. Gebannt von der packenden Geschichte über einen Mann, der sich selbst für den Hungertod in der Wüste entscheidet, weil er auf eine Zusammenkunft mit seinem Adressaten hofft. Der Erzähler zeigt sich als seelisches Wrack, gebeutelt von Alkohol und Nikotin, Drogen und vor allen Dingen dem Tod seines Freundes. Er lechzt nach einer erneuten Zusammenkunft und sucht daher mehrmals den Freitod, bis er schließlich in einer Psychiatrischen Klinik landet. Die Geschichte ist so authentisch erzählt, der Erzähler passt seinen Schreibstil perfekt an die kalte, melancholische Stimmung des Charakters an, dass ich mir nur wünschen kann, dass es sich bei diesem Werk um Fiktion handelt.

Niemals waren fremde Briefe so hautnah und persönlich (noch bestärkt durch die räumliche Nähe zu den in „Wind auf deiner Asche“ benutzten Schauplätzen).

Auch die Zeichnungen, die in der ersten Hälfte vor allen Dingen versuchen, das Undefinierbare darzustellen, die Seele eines Menschen und daher ein wenig surrealistischen Anschein (vergleichbar mit den Bookletarts von System of a Downs „Hypnotize“ und „Mezmerize“) haben, verfestigen sich später und illustrieren in dem für mich beeindruckendsten Teil auf Augenhöhe die depressive Niedergeschlagenheit. Sie sind unverzichtbar in dieser Anthalogie.
Den unwichtigsten Kommentar habe ich mir mal für den Schluss aufgesparrt. Dem Buch hätte ein etwas schlankeres Design besser gestanden

„Wind auf deiner Asche“ ist tiefschürfend, anspruchsvoll und anstrengend zugleich. Für Menschen, die sich von ein paar Kurztexten unterhalten lassen wollen, ein wenig langweilig, und definitiv nicht massentauglich, aber jemand, der sich gerne mal eine ruhige Minute gönnt und für den der Schreibstil nicht immer nur laut und „mit kurzen Sätzen Spannung erzeugen“ sein muss, perfekt. Zum Lesen sollte man einen stillen Ort aufsuchen und ein wenig Zeit mitnehmen. Denn zwei Seiten arten schonmal zu einem zwanzigminütigem Gedankenspiel aus. Einige Zeilen haben mich einfach ratlos zurück gelassen, aber anderes hat sich in meinem Kopf so festgesetzt, dass ich das Buch an die Seite gelegt habe und doch nicht mit seinen Worten abgeschlossen hatte. Eventuell ist es ratsam mit den Briefen an Hein Hackebein zu beginnen. Denn sie sind auf jeden Fall „Eindrucksvoll“.


Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Gone - Verloren

Gone Das Buch, das der Pilot einer (laut wikipedia) sechsteiligen Jugendbuchserie ist. Das Buch, das neongelbe Seitenränder besitzt. Das Buch, das ich komplett durchgelesen habe. Spoilerwarnung: In diesem Text werden viele Charaktere und Handlungen erzählt, die dem Leser in beim Lesen eigentlich ein "AHHHH"-Erlebnis schenken sollen. Wenn Sie nicht sicher sind, ob Sie sich das Buch anschaffen sollen, dann kaufen Sie es sich einfach, ohne diesen Text zu lesen. Sie werden es nicht bereuen. Wenn du dieses Buch als Englischlektüre hast - was ich für sehr unwahrscheinlich halte - solltest du zuerst deiner/deinem Englischlehrer/-in unendlich dankbar sein, denn so ein Glück haben nur sehr wenige, und danach das Buch lesen, anstatt kurz eine Zusammenfassung aus dem Internet auszudrucken und in die Schule mitzubringen, denn Schummeln ist doof und mehr als die ersten paar Seiten werde ich natürlich nicht vorwegnehmen. Inhalt: ( Die Anfangssituation kurz geschildert) Auf den...

155 Kurze (aus der Poetry Slam Szene)

155: So viele Texte sind in der Kurztextzusammenstellung von Wolf Hogekamp & Björn Högsdal enthalten. Vielleicht. Ich hab nicht nachgezählt, vertraue da aber ganz auf die Herausgeber und mein Gefühl. Es ist eine Art Querschnitt durch die moderne Poetry-Slam Szene . So etwas wie der Schnelldurchlauf in einer Castingshow. Schnell eine Szene gezeigt, schon wieder die nächste. Epileptische Kamerawechseln und ein wenig Verwirrung bei dem Zuschauer, aber, solange es sich bewegt, zappt man nicht weg. Jetzt gibt man dazu eine Prise Niveau und Intellekt – in manchen Fällen auch Wahnsinn – und der Vergleich ist perfekt. Das Einzige, das fehlt: Dieter Bohlen. Gott sei Dank. Erst enttäuscht über die Knappheit der einzelnen Texte kam die Erkenntnis: 155 vollständige Poetry Slam Texte würden bei einer überschlagenen Durchschnittslänge von mindestens 5 Seiten eine Enzyklopädie von mehr als 775 Seiten ergeben. Charakteristisch für viele abgedruckte Beispiele der knappen Wort-Kunst i...

Anders sein ist ganz normal

" Anders sein ist ganz normal " lautet der Titel des ersten Buches des erfolgreichen Poetry Slammers Pierre Jarawan und ist gleichzeitig der rote Faden, der sich durch das gesamte Buch zieht. Das als Ringelblock getarnte Taschenbuch ist eine Sammlung seiner großartigen Bühnentexte, aufbereitet mit niedlichen Zeichnungen und kleinen Zwischentexten, oder Abänderungen von alt-bekannten Redewendungen. In diesem Buch ist die Fantasie ein ständiger Begleiter. Seine Fantasie baut ganze Plantagen der schönsten Pflanzen, oder Boote aus riesigen Walnüssen, oder lässt ihn in seine Kindheit zurückversetzen. M ir gefällt die Kunstform des Poetry Slam Textes im Allgemeinen. Die Beschränkung auf 5 Minuten Auftrittszeit gibt langweiligen Längen keine Chance. Man kann lustig sein, oder tiefgründig. Man kann reimen, oder nicht. Jede mögliche Variation dieses Genres ist in dem Werk vertreten. Das macht das Buch so abwechslungsreich, obwohl es in vielen Texten um ein ähnliches Thema geh...