17 ausgewählte Texte der jüngsten aufstrebenden Slam Poeten
Die Spoken Word Kultur selbst ist noch
sehr neu, wie bereits an der englischsprachigen Bezeichnung
erkennbar. Doch auch die Avantgarde der
Falt-Din-A-4-Zettel-Vollkritzler sieht bereits ihrem wohlverdienten
Ruhestand entgegen. Was liegt da näher als in seinem letzten Atemzug
die jungen Künstler zu präsentieren, die die Zunft in der Zukunft
würdevoll vertritt. 17 Nachwuchskünstler läuten mit der Sammlung
„Tintenfrische“ die zweite Generation der Wortjonglierer ein.
Die Aufmachung des dünnen, kleinen,
außen blauen, innen weißen Buches ist sehr liebevoll und nett
gemacht. Das Szenario des Schulschreibheftes, das mit drei Linien pro
Zeile wie in der zweiten Klasse ausgestattet ist, gefällt mir sehr
gut. Auch das unscheinbare Titelbild mit den weißen Flecken und dem
Titel in Schreibschrift auf dem Klebezettel ist gut gelungen. Abgerundet wird das Bild durch die Tatsache, dass der letzte Text
auch das Buch beschließt. Die Eigenwerbung wurde entfernt. Ebenfalls wird durch nichts versucht, das Buch künstlich zu strecken. Es beinhaltet genau 17*5 Minuten Slamkunst. Dadurch ist es ein wenig dünn, und die Seitenzahl kann auch nicht in utopische Höhen getrieben werden, aber es ist genau auf den Punkt. Meiner
Meinung nach ein sehr guter Schritt, um das Buch authentischer zu
gestalten und dem äußeren Erscheinungsbild einen gewissen Charme zu
verleihen.
Nebenbeigesagt finde ich den Titel einfach nur genial. Tintenfische? Von wem? Was? Von jungen Leuten? Ach, Tintenfrische!
Nebenbeigesagt finde ich den Titel einfach nur genial. Tintenfische? Von wem? Was? Von jungen Leuten? Ach, Tintenfrische!
Nach der Begrüßung durch Sebastian 23
und Philipp Herold wird durch eine Anmerkung konstatiert, dass die
Texte erst auf der Bühne ihre volle Wirkung entfalten. Das hat mich
ein wenig an einen Schüler im Deutschunterricht, der, bevor er die
Hausaufgaben vorliest, erstmal hinzufügen muss: „Aber ich glaub
ich hab die Aufgabe falsch verstanden, es ging hier also um ein
Buch?“ Unsere Lehrerin hat sich darüber immer aufgeregt, weil das
die eigene Leistung bereits vor dem ersten Kontakt des Publikums mit
dem Werk schmälert und ein eigentlich gutes Stück Literatur
schüchtern in eine dunkle Ecke stellt. Und das schüchterne blaue
Tintenheft braucht sich gar nicht zu verstecken.
Es ist endlich mal eine unverdünnte Anthologie, die unvermittelt das widerspiegelt, was in den Schlachthöfen dieser Nation allmonatlich auf der Bühne geschieht. Es enthält genau das, was draufsteht: 17 in Halbprosa verfasste Texte, mal mit Zeilenumbrüchen, mal mit Reimen, aber immer mit ganz vielen Wortspielen und -bildern, ungefilterter Meinung und derben Sprachattacken.
Von mir bislang völlig unbekannten
Poeten und Träumern wie Fatima Moumouni bis hin zu regionalen
Berühmteheiten, a la „Jau kennst du den? Der ist soooo lustig. Gib
das mal bei Youtube ein.“, wie Jan-Phillip Zymny, der
erfreulicherweise keinen Text aus seinem eigenem Band, sondern einen
sehr guten Neuen eingereicht hat. Das zeigt aber auch die Bandbreite
des Genres selbst. Es gibt ein bisschen Comedy (meiner Meinung kommt
sie allerdings ein bisschen zu kurz), ein paar Performance-Elemente,
die in eckigen Klammern stehen, damit man sich die Darbietung
bildlich vorstellen kann, und viel Selbstreflexion und
Sprachreflexion. Menschen schreiben in unserer Zeit gerne über das
Schreiben und die Möglichkeiten, die die Literatur ermöglicht. Als
Liebhaber des herrlichen Films mit Gérard
Depardieu „Das Labyrinth der Wörter“ bin ich fasziniert
von den Vielfalt der Geschichten, die man sich mit Hilfe der Macht
der Wörter erträumen kann.
Und doch ist es auch immer ein Kampf.
Ein Kampf gegen die Einschränkung der Artenvielfalt der Wörter, ein
Kampf gegen Selbstzerstörung und den Sprachverfall, die Gesellschaft und sich selbst. Ob es die
immerwährende Party ist, in der man sich mit Alkohol und Drogen das
Ableben schön säuft, oder mit immer wechselnden Partnern die
mangelnde Fähigkeit sich zu Öffnen wegschläft. Die junge Garde
kämpft mit ihrer besten Waffe. Der Sprache. Ob gegen sich selbst,
oder gegen andere. Gegen ich, du, wir oder ihr. Die Probleme in
Sprache zu fassen, strukturiert die eigenen Gedanken und übermittelt
sie den Zuhörern, die auf einem Poetry Slam nun einmal schlecht
weghören können. Da vertritt Nino Seiler in „Bedrucktes Papier“
die These, dass die Technologie, wie sein iPad, die Sprache nicht
zerstören, sondern bloß ins Zeitgemäße ändert, und, dass die
Menschen die Entwicklung selbst in der Hand haben; Da versucht Lisa
Christ jemanden in „Generation Hirntot“ davon zu überzeugen,
dass der schnelllebige Lebensstil, gezeichnet durch das immerwährende
Ostinato „Saufen, rauchen, kiffen, tanzen“ die Möglichkeiten das
Lebens nicht ausschöpfen kann und dass man auch mal Ruhe braucht, um
sich selbst zuzuhören. Jeder Poet hat eine Botschaft. Und die lohnt
sich gehört bzw. gelesen zu werden.
Einige der Texte waren mir aus YouTube oder eigenen Slam-Besuchen bereits bekannt. Das verdeutlicht noch einmal, wie gut sie die Szene repräsentieren, und das einige davon im Kopf bleiben.
Es gibt keinen deutlichen Tiefpunkt in
der Anthologie, aber einige persönliche Lieblingstexte, wie das verträumte
„Sternenkind und Weltenmann“ von Matthias Rosenthal und das
direkte und sehr intelligente „Ein Text für alle Weltverbesserer – also vor allem für
mich“ von Julia Balzer.
Link zu der Teilnehmerliste
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