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Pott meats Poetry

Samma, Hömma, muss dat sein.

Der neue Dienstleistungssektor im Ruhrgebiet erreicht neues Terrain. Nur langsam wagen es die ersten ihrer Art den Kopf aus dem Nest zu strecken und sich in ihrer ganzen Pracht zu präsentieren. Amerikanische Forscher, die dieses Phänomen zuerst beobachteten nannten sie: Slammer. 


Friss oder stirb, dieses Prinzip gilt auch für eine Region die Umdenken muss, weil ihr altes Erfolgsrezept abgelau



fen ist. Wenn die Hochöfen lediglich als Mahnmal für eine saubere Zukunft am Himmel stehen, und das Kraftwerk nur noch der Name einer Diskothek ist, dann ist das Ruhrgebiet längst Kulturmetropole Deutschlands geworden. So viel zur Idee. 
 
Dieses Buch, das aussieht wie ein Lungenkrebs, oder wenigstens wie die rauchenden Abgase der Hochöfen will für diesen Plan ein Vorreiter sein und ich muss sagen, die Komposition aus Bild und Text gefällt. 

Unter den Autoren sind die üblichen Verdächtigen a la Patrick Salmen und Sebastian 23, aber auch einige Texter die immer wieder zu den Highlights meines persönlichen Vorruhrgebietslams gehören. Frank Klötgen und Maschi Marschalt gehören dazu. Die Auswahl erfolgte allerdings mehr inhaltlich als räumlich. Eigentlich muss man lediglich in einer marginalen Verbindung zum Pott stehen, um die Teilnahme bescheinigt zu bekommen. Ausreden wie "war mal Fan des Bundesligavereins Borussia Dortmund", gehörten zwar nicht dazu, wären aber nur die nächste Stufe gewesen.  

Dafür konzentriert sich die Anthologie jedoch stark auf das versprochene Thema und ist inhaltlich so stark kohärent wie nie zuvor im Lektora Verlag. Ob sich die Vorurteile des Großstadtlebens in NRW als wahr herausstellen, man merkt, dass Cinderella kein Märchen ist und Essen Tag und Nacht frei erfunden, oder sich ein Text allein aus Städtenamen und dennoch Sinn ergibt – zusammen werden sie alle zu sympathischen Zeitdieben im Zug von Hamm nach Münster.

Jeder Teilnehmer bekommt seine eigene Anmoderation aus Vorstellungstext und thematisch einführenden Bildelementen zur Einstimmung vorausgeschickt. Menschen der Medienakademie WAM gestalteten auf unterschiedlichste Arten jeweils eine Doppelseite und bringen dadurch das sonst so starre Buch erst zum Leben. Ein Kind stellt sich den Berufsverkehr vor, das eben bereits angesprochene Spin-Off erhält sein eigenes Titelbild und ein scheinbar verwirrter Brillenträger im Hemd redet mit seinen Frühstückseiern. Nach der bewährten Unterrichtsform des „Silent Input“ darf sich der Leser ganz persönlich auf das Folgende einstellen, um zu erfahren, dass seine Erwartungen schließlich doch durchbrochen wurden. Kurz um: Text und Bild gehören zusammen und bilden eine Einheit. 

Fakt ist auch: niemand kann so gut, Leute introduzieren, so sympathisch Menschen und Werke präsentieren, die sich heimisch anfühlen und doch einen Hauch Professionalität versprühen, wie der ehrgeizige Cousin, mit dem man als Kind immer gespielt hat, auf den man aber doch auch immer ein klein wenig neidisch war. 


Der Schriftsatz ist in diesem Fall sehr interessant gewählt und beeinflusst merklich das Leseerlebnis. Ich hatte jedenfalls beim Lesen des mir aus seinem eigenen Band bekannten Patrick Salmens „Das Stückchen Schönheit werden Sie nicht mehr los...“ ein ganz anderes Gefühl; womöglich aufgrund des atomgelben Umschlags, des länglichen Formats oder wahlweise der sterilen Satzung mit harten Absätzen hervorgehobenen Passagen und fett gedruckten Anfängen. Dadurch verliert er zumindest in der Empfindung ein wenig das Lyrische und wirkt distanzierter. Doch auch diese andere Lesart passt gewissermaßen zu der Fließbandthematik. 

Kleiner Kritikpunkt an der allgemeinen Machart einer bestimmten Untergruppe: Ich muss sagen, dass ich kein großer Fan von wilden Assoziationsreihen bin. Na klar jedes Wortspiel muss einmal gemacht werden, das wusste schon Gerhard Henschel, doch einige verklingen lieber einsam in kleinen intimen Kreise. Vielleicht ist es tatsächlich schwieriger die gute Komödie zu schreiben, als das gute Drama.

So findet man jedenfalls, der Mensch ist verschieden, slamtypisch seine eigenen subjektiven Perlen, die aus dem Leben sprechen und in einen hinein, gepaart mit einigen "kann man machen, muss man aber nicht" Texten, dessen Auslese zwischen den einzelnen Lesern aber so unterschiedlich ausfallen dürfte, dass im Großen und Ganzen jeder Satz seine Existenzberechtigung hat und ihre eigene Klientel durch seine bloße Existenz glücklich macht. Außerdem gab es selten eine inhaltlich so geraffte Anthologie im Bereich des Writen Spoken Word. Dafür ein großes Charpeux. 

Nur vereinzelt trifft man auf regional bedingte Sprachverirrungen, die sich sympathisch zwischen Buchstaben verstecken. Man kann auch Hochdeutsch schreiben und beim konsequent anhaltendem Dialektverfall scheint die Poesie die Leute Bastion zu sein, in der junge Menschen noch die Sprache ihrer Großeltern annehmen dürfen, ohne unglobalisiert zu sein.

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