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Jeffery Deaver - Die Menschenleserin



Kathryn Dance ersten Fall hat sie sich selbst eingebrockt. Denn wie sagt ein altes japanisches Sprichwort: „Lässt du laufen, wer hinter Gittern gehört, musst du suchen, denn freiwillig er sich nicht zeigt.“ Ich weiß es verliert etwas bei der Übersetzung.

Die Menschenleserin erzählt von diesem Katz und Maus-Spiel. Dabei legt Jeffery Deaver besonders viel wert darauf den Leser zu verwirren und möglichst viele unerwartete Wendungen einzubauen.


In der Krimiabteilung eines größeren Buchfachhandels fand ich direkt neben meinem in diesem Jahr entdeckten Lieblingskrimiautor Arne Dahl aufgrund der alphabetischen Nähe der Nachnamen den amerikanischen Schriftsteller. Zuhause habe ich ihn prompt im Internet wiedergefunden, wo das hier vorgestellte Buch momentan bei amazon zu einem Spottpreis von 8 Euro in der gebundenen Ausgabe verhökert wird. Also griff ich zu.

Die Handlung setzt mit einem Zeitungsartikel ein, der von den Cryton-morden berichtet, die zur Haftstrafe des Kleinkultführers Daniel Pell geführt hat. Vor seiner Inhaftierung hatte er eine kleine Gruppe um sich geschart, die sich Familie nannte, mit Leuten, die alles für ihn tun würden. Sie begingen Kleinverbrechen, um sich über Wasser zu halten. Dieser ist nun auch Hauptverdächtiger in einem neuen Mordfall und wird daher von der Kinesikexpertin Kathryn Dance in einem Verhörraum des Californian Bureau of Investigation vernommen. Aus diesem entkommt Pell jedoch wenig später und verschwindet spurlos. Eine wilde Jagd nimmt ihren Lauf. Wie konnte es Pell gelingen auszubrechen? Wo ist Pell nun und was hat er vor?

Ich hatte mich auf eine Adaption der Fernsehserie „Lie to me“ in Buchformat gefreut.... und wurde enttäuscht. Die Kinesik steht nicht wirklich im Mittelpunkt der Geschichte. Anstatt sich über Augenbewegungen, Mikroexpressionen und Körperhaltungen auszulassen, beschreibt Deaver lieber das Zusammenleben der Familie Dance. All die ganze Recherchearbeit steckt in einem einzigen Verhör, in dem dem Leser Agent Dances Fachgebiet nahegebracht wird. Hier zeigt Deaver, dass er wirklich viele Informationen zu dem Thema gesammelt hat. In diesem geht Dance ein gut strukturiertes Schema durch, dass den Verhörten in verschiedene Lügnertypen und sogar die Lüge selbst in verschiedene Stadien einteilt. Schade, dass diese Szene recht zu beginnt kommt und mir falsche Hoffnungen über den weiteren Verlauf des Werkes gemacht hat. Denn darauf folgt nicht mehr viel kinetische Analyse. Mal stellt sie kurz die Nervosität des Gegenüber anhand von Fingerspielereien fest, und manchmal bekommt der Leser nur die Bemerkung „Aber er log.“ zu Gesicht.

Wenn man das für ein bisschen Mau und de Charakter Agent Dance folglich als nicht besonders kompetent hält, dann wird man von dem Erzähler immer wieder dazu gezwungen etwas anderes zu glauben. Denn er hält ständig fest, was für eine Superheldin Agent Dance ist. Jeder Charakter lässt mindestens einmal in der Geschichte den Gedanken fallen, dass Dance die Beste in ihrem Fach ist. Selbst der gerissene Kultführer Daniel Pell, der nur kurz mit ihr geredet hat und für den das Gespräch eher aufschlussreich war, sinniert immer wieder über die einzigartigen Kräfte dieser Frau. Obwohl er sich eigentlich gar nicht wirklich kennt, reift sie in seinen Gedanken zu seiner Erzfeindin heran.
Auch Daniel Pell wird als der beste Manipulateur der Welt dargestellt. Dabei kommen mir seine Verliebte eher als selten naiv und dumm, anstatt Daniel Pell als besonders gewieft und manipulativ vor. Des Weiteren kommt es mir nicht so vor, als ob Pell eine große Gefahr darstellt, denn er vermeidet um jeden Preis, dass andere Menschen wirklich zu Schaden kommen. Warum dieser Fall dann besonders haarsträubend sein soll, erschließt sich mir nicht ganz.
Mir scheint, als soll dadurch eine Art Duell der Meister erzeugt werden, aber dem wird der Krimi einfach nicht gerecht.

Vollgepackt ist das Buch dafür mit vielen überraschenden Wendungen. Frei nach dem Motto „Wo ist Pell eigentlich gerade?“ „Er steht hinter dir!“ werden immer wieder kleine Spannungsszenarien kreiert. Allerdings ist das nach der dritten Überraschung dann nicht mehr wirklich spannend, denn in den ersten zwei Dritteln des Buches tragen diese Einschnitte überhaupt nicht zum weiteren Verlauf der Geschichte bei. Da stehen sich Mörder und Gejagter jeweils mit einer Pistole in der Hand gegenüber und nach dem Schusswechsel flieht Pell einfach in einem Auto. Fortschritt: Keiner. Teilweise sind die einzelnen Wendung sehr abstrus und in der Masse ist das Ganze doch arg realitätsfremd.

Gefüllt werden die Seiten dann noch mit den oben bereits erwähnten Familiengeschichten aus dem Hause Dance. Es findet eine allzu normale Geburtstagsfeier statt und natürlich dürfen Männergeschichten auch nicht fehlen.

Vielleicht bin ich ein bisschen hart zu dem Buch, aber für mich hatte die Geschichte einen so starken Spannungsbogen, dass ich es für gut ein halbes Jahr an die Seite gelegt habe und es nur aus Langeweile beendet habe. Nun gut, die Geschichte nimmt zum Schluss wirklich an Fahrt zu und die Auflösung ist Deaver gut gelungen, aber am Anfang hat das Ganze für mich schon an allem Reiz verloren, den es mal hatte. Außerdem hätte den wissenschaftlichen Aspekt des Verhörs viel stärker betont gewünscht.

Insgesamt ist es ein netter Krimi, den man ohne Anstrengung nebenbei lesen kann und bei dem sich die Spannung in Grenzen hält. Wahrscheinlich mag es viele Menschen geben, die genau das gerne lesen, doch von mir erhält das Buch auf dem neuen für den salienzorientierten Leser eingeführten Hau-den-Lukas Buchmeter nur ein „Allerweltsgeschichte“.

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